Jenseitstheorien
von Pessimist

online gestellt am 08.10.2022

zuletzt editiert am 15.04.2024


Jenseitstheorien – biographisch


Gemäß dem analytischen Idealismus von Bernardo Kastrup ist die unbelebte Natur nicht bewusstlos (leider, wie ich als Pessimist vermute). Sie hat... nein, sie ist genau EIN unbegrenztes, aber nur phänomenales Bewusstsein, d.h. es fühlt sich auf bestimmte Weise an, dieser sog. Mind at Large bzw. M@L zu sein. Wir hingegen sind individuell begrenztes, aber dadurch zur Selbstreflexion befähigtes Metabewusstsein. Wenn wir sterben, gehen wir wieder auf im instinktiven M@L. Nahtoderfahrungen und sonstige erweiterte Bewusstseinszustände bei reduzierter Hirnaktivität geben hierauf einen Vorgeschmack.

Arthur Schopenhauers letzte Worte anno 1860 an seinen Freund Wilhelm Gwinner, von diesem selber in einer anno 1862 veröffentlichten Schopenhauer-Biographie in indirekter Rede für die Nachwelt festgehalten, sind m.E. die pessimistische Quintessenz des Daseins schlechthin: "Es würde für ihn nur eine Wohltat sein, zum absoluten Nichts zu gelangen; aber der Tod eröffne leider keine Aussicht darauf. Allein, es gehe wie es wolle, er habe zum wenigsten ein reines intellektuelles Gewissen."

Auch ich wünschte mir sehnlichst, dass nichts mehr nachkommt, dass es im Tod aus und vorbei ist mit mir – völlige und endgültige Bewusstlosigkeit. Vom Suizid hält mich ab, dass ich starke Zweifel am Erlöschen des Bewusstseins im Tod hege. Denn nach allem, was ich von der Welt weiß, ist die Vorstellung einer hundertprozentigen Erlösung vom Leid viel zu schön um wahr zu sein. Außerdem haben mir zwei Nahtoderfahrungen (siehe ganz unten) nahegelegt, dass sich das Bewusstsein im Tod ganz im Gegenteil erweitert.

N.B. "Sein oder Nichtsein" aus Shakespeare's Hamlet gilt als der bekannteste dramatische Monolog überhaupt. Sinngemäßer Inhalt: ein durch Suizid herbeigezwungenes Nichtsein in Form eines traumlosen Schlafes wäre dem Sein mit all seinen unerträglichen Zumutungen zweifellos vorzuziehen – was uns dennoch im Leben verharren lässt, sind die im Todeschlaf drohenden Träume. So wird die traurige Wahrheit des pessimistischen Idealismus zumindest auf der Theaterbühne offen ausgesprochen, wohingegen (bzw. gerade weil) sie auf der gesellschaftlichen Bühne tabu ist.

Ein einziges endliches Leben auf der konsumistischen Gewinnerseite und dann endgültig bewusstlos? Auch beim als nüchtern geltenden Materialismus ist da m.E. der Wunsch der Vater des Gedankens. Nichtsein wäre besser als Sein! Das gilt sowohl im ethischen Sinne, weil die ausgebeuteten Opfer ungerechterweise und unfreiwilligerweise unter den ausbeutenden Tätern leiden; als auch im hedonistischen Sinne, denn wirklich gut geht es noch nicht einmal den ausbeutenden Tätern, selbst deren Befindlichkeit pendelt laut Schopenhauer zwischen Schmerz und Langeweile.

Vielleicht bezieht sich das o.g. "reine intellektuelle Gewissen" auf Schopenhauers denkerische Lebensleistung insgesamt, aber meine Lieblingsinterpretation ist folgende: der reife Mensch identifiziert sich mit seinem laut Schopenhauer sterblichen Intellekt und vertritt die sog. lebensverneinende Überzeugung, dass alles reale Dasein idealerweise gar nicht sein dürfte; und das genügt schon, um seine Hände in Unschuld zu waschen – wer das Nichtsein in theoria bevorzugt, kann bereits nichts mehr dafür, dass das leidige Existieren immer weitergehen muss.

Denn sich in praxi umzubringen vermag das Individuum nicht zu erlösen, sein laut Schopenhauer unzerstörbarer Wille besteht trotzdem weiter. Also bleibt man besser am Leben und versucht, dem sich aufbäumenden Willen die gebotene Beachtung zu schenken, ihn nach Möglichkeit zu beruhigen, ansonsten dessen Energie in vernünftige Bahnen zu lenken (Katharsis, Sublimierung). N.B. Der Schopenhauerianer C. G. Jung unterscheidet die gesellschaftlich vorzeigbare Persona und den nur allzu gerne verleugneten Schatten – dessen dunkle Energie zuzulassen sei zwar eine moralische Herausforderung, aber erst ihn zu integrieren mache uns wieder ganz.

Den philosophischen Pessimismus von Schopenhauer teile ich seit etwa 2000. Im Mai 2022 hat mich ein Freund auf Bernardo Kastrup aufmerksam gemacht, und dank dessen Erklärung leuchtet mir nun endlich auch Schopenhauers Ontologie des objektiven Idealismus ein (zurückgehend auf Plato, siehe Höhlengleichnis). Nach über zwei Jahrzehnten mit meiner passiven Version des (inter-)subjektiven Idealismus und meinem darauf basierenden siebten Jenseitsmodell der zufälligen Wiedergeburt ist um den August 2022 herum der sog. Mind at Large bzw. M@L das achte Modell in meiner Jenseitsbiographie geworden.

Alles ist subjektive Erfahrung. Lange nahm ich an, dass nur unsere großenteils überlappenden (inter-)subjektiven Welten existieren bzw. nur wir einander ausgelieferten individuellen Subjekte: Menschen, Tiere, Pflanzen, Dinge. Berkeley: "Sein heißt wahrgenommen werden oder wahrnehmen". So war während meiner Nahtoderfahrungen (siehe ganz unten) meine Welt wie ausgewechselt. Dass es Subjekte neben mir gibt, war mir im Analogieschluss von mir auf Andere schnell plausibler als der solipsistische Albtraum. Und zufällige Wiedergeburt als immer wieder Andere erschien mir die unvoreingenommenste Fortsetzung.

Dann der Schritt vom siebten zum achten Modell aufgrund folgender Hypothese Kastrups: die unbelebte Natur besteht zwar nominell aus einzelnen Dingen, aber nicht ontisch, d.h. wir geben den Dingen Namen, aber die Dinge sind keine individuellen Subjekte privaten Bewusstseins, sondern nur wir Lebewesen sind welche. Im Tod gehen wir wieder auf im EINEN Bewusstsein der unbelebten Natur, dem M@L, der objektiven Wirklichkeit jenseits von unseren subjektiven Illusionen. Tendentiell geschieht das auch schon in erweiterten Bewusstseinszuständen während unseres Lebens: Meditation, psychedelischer Trip, Todesnähe uvm.

N.B. Kastrup unterscheidet also einen lebendigen Teil und einen nichtlebendigen Teil der Welt – letzterer ist gleich dem M@L und kann auch Gott genannt werden. Nach (etwas modifizierter) pantheistischer Art ist somit Gott identisch mit (einem Teil) der Welt und wir Lebewesen sind von ihm dissoziiert. Für den PanENtheismus jedoch ist Gott der Welt immanent UND transzendent. Kastrup erklärt sich damit aus folgendem Grund einverstanden: die Wahrscheinlichkeit, dass Gott ganz und gar innerhalb des Erkenntnisbereiches von uns Felsenaffen liegt, ist doch eher gering. Ich meine aber, der Panentheismus lässt es an ontologischer Sparsamkeit fehlen, mir gefällt mein dank Kastrup vollzogener weltanschaulicher Tausch der unbelebten Welt mit ungewisser Unterteilung in zahllose bewusste Agenten gegen die unbelebte Welt als EIN Bewusstsein gleich M@L gleich Gott.

Der Begriff "Mind at Large" stammt von Aldous Huxley. In seiner normalen Funktion wirkt das Gehirn als Filter, schottet das private Bewusstsein weitgehend ab vom M@L. Zunehmende Deaktivierung des Filters etwa durch bewusstseinserweiternde Psychedelika wie LSD – im Gegensatz zu bewusstseinsverengenden Sedativa wie Alkohol – gewährt demnach einen immer ungefilterteren Blick auf die wirkliche Welt. Entsprechend vermutet mancher Psychonaut, dass Religionen bzw. idealistische Philosophien von jeher auf derartigen Erfahrungen beruhen.

N.B. Der hyperreal eindrucksvolle Rausch auf psychedelischen Drogen geht laut Kastrup mit deutlich reduzierter Gehirnaktivität einher. Der Bewusstseinszustand in Vollnarkose jedoch, welcher unter Materialisten als Vorgeschmack auf den Tod gilt, zählt gerade nicht zu jenen Zuständen mit verringerter Hirnaktivität – vielmehr bewirken die Narkotika im zentralen Nervensystem ein erhöhtes neuronales Rauschen, zur Störung eben jener konstruktiven neuronalen Prozesse, durch die ein chirurgischer Eingriff sonst in schmerzhafter Erinnerung bleiben müsste.

Wie im subjektiven Idealismus ist nach Kastrup auch im objektiven Idealismus Bewusstsein die einzige Substanz. Aber anders als die subjektiven Idealisten postulieren die objektiven Idealisten (für ihre individuellen Subjekte privaten Bewusstseins) eine objektive Außenwelt, die unabhängig davon existiert, ob ein Subjekt sie wahrnimmt – also wie die Außenwelt der Materialisten, nur dass letztere AN SICH materiell ist, während erstere AN SICH mental ist, obwohl sie FÜR UNS materiell erscheint.

Die Erscheinung einer materiellen Außenwelt (vgl. Maya) endet im Tod wieder. Bildhafte Beschreibung: wie uns beim Erwachen aus einem Traum die herkömmliche Welt zunächst verwundert, so verwundert uns beim Sterben zunächst auch der M@L, aber schnell kehrt sich die Wahrnehmung um und nun ist der vergangene Traum bzw. das vergangene Leben das außergewöhnliche Ereignis; die ewige Wirklichkeit war eigentlich nie weg, nur wie die immer am Himmel stehenden Sterne tagsüber verschleiert vom Sonnenlicht eines endlichen Ego.

Der Schopenhauersche Monismus ist laut Kastrup objektiver Idealismus und Naturalismus zugleich, kosmisches Bewusstsein und Natur sind ihm Essenz und Erscheinung ein und derselben Welt. Aber sein großes Ganzes ist kein reflektiertes von höchster Vernunft und Moral wie im Monotheismus, oder ein nahezu ausnahmslos bewusstloses wie im Materialismus, sondern etwas dazwischen: irrationales Prinzip bzw. blinder Wille i.S.v. phänomenales Bewusstsein bzw. raw consciousness – ursprünglich, unreflektiert, spontan, affektiv, reaktiv, instinktiv, intuitiv!

Dieses phänomenal bewusste Wesen ist kein Lebewesen – der M@L ist transpersonal, außerhalb von Raum und Zeit, unberührt vom Überlebensdruck der biologischen Evolution. Er ist die eine ewige unpersönliche Ichheit, in der wir alle eins sind. Für uns personale Individuen in Raum und Zeit sinnlich wahrgenommen, erscheint der M@L zwar als materielle Welt (Schopenhauer: Welt als Vorstellung), an sich aber ist der M@L eine mentale Welt (Schopenhauer: Welt als Wille); die Dualität von materieller und mentaler Welt ist nur eine scheinbare –> Nondualismus (vgl. Advaita Vedanta).

Kastrups Analogie: wir Lebewesen sind begrenzte Whirlpools im unbegrenzten Ozean des M@L – das Wasser steht für die eine Substanz Bewusstsein, die verschiedenen Bewegungsmuster des Wassers stehen für verschiedene bewusste Erfahrungen. Alles ist Bewusstsein, aber zuerst einmal nur phänomenales Bewusstsein (What-it-is-likeness bei Nagel, Zumutesein bei Husserl); Metabewusstsein entsteht erst mit unserer Begrenzung als Whirlpools und dadurch möglicher Selbstreflexion (stehende Wellen).

N.B.1 Ich will die Analogie der Whirlpools metabewusster Wesen im vergleichsweise ruhigen Ozean des M@L nicht überstrapazieren, aber mir fällt an dieser Stelle auf, dass Ruhe paradoxerweise auch genau im Zentrum des Wirbelsturms herrscht, in seinem sog. Auge – ist vielleicht erst da der Ozean wirklich still?
N.B.2 Der Nichts-näheste Zustand wäre die spiegelglatte See, eine bewusste Ichheit ohne alle aktuelle, nurmehr mit aller potentiellen Bewegung bzw. Erfahrung – dem andauernd in Selbsterregung begriffenen M@L leider zu friedlich?

Die reinen Schwingungsmoden, aus denen sich die komplexen Erregungsmuster zusammensetzen, entsprechen den platonischen Ideen bzw. Archetypen. Aus heutiger Sicht hat hier in meinem Verständnis des Idealismus jahrzehntelang etwas gefehlt: Substanz des subjektiven Idealismus war für mich das Bewusstsein, Substanz des objektiven Idealismus die Ideen bzw. (modern gesagt) die Information. Mit Kastrup ist die Substanz des objekiven Idealismus nun das (in)formierte Bewusstsein, was jedoch keinen Dualismus bedeuten soll – Whirlpools und alle anderen Bewegungmuster bestehen aus nichts als Wasser. N.B. Kastrup sagt: "kein Tanz ohne Tänzer", während etwa Whitehead die Geschehnisse selbst zugrunde legt, also ohne eine Substanz, mit der etwas geschieht; hier ist die statisch-passive Substanzontologie à la Parmenides (vgl. Advaita Vedanta) von der dynamisch-aktiven Prozessontologie à la Heraklit (vgl. Kaschmirischer Shivaismus) zu unterscheiden.

In einem nächsten und letzten Erkenntnisschritt, der mit einer dualistisch konzipierten Sprache kaum zu meistern ist und in widersinnigem Gestammel enden muss, wird alles Bewusstsein zum unendlich kurzen Moment reiner Gegenwart, welcher trotzdem die unendlich lange Vergangenheit bzw. Zukunft umfasst als je gegenwärtige Rückschau bzw. Vorschau. Damit ist Bewusstsein zugleich nichts und alles, weder statisch (–> Substantive) noch dynamisch (–> Verben) usf. Auch geistige Bewegungsmuster (die Upanishaden unterscheiden Geist und Bewusstsein!) sind dann unsere Täuschung, nur personale Auffächerungen der einen transpersonalen Wirklichkeit.

Der M@L ist unbegrenzt, rein endogenes Bewusstsein ohne Außenwelt; laut Kastrup vergleichbar einem Träumenden mit dissoziativer Identitätsstörung: dessen sog. Alters, welche im Wachzustand nur nacheinander auftreten, können im Traum nachweislich miteinander interagieren. Alle Lebewesen mit eigenem Stoffwechsel (Bakterium ja, Virus nein) sind gewissermaßen dissoziierte Alters des träumenden M@L. Wiederum ein kleiner Teil von ihnen (manches Tier, Mensch), viel weiter fortgeschritten in der evolutionären Entwicklung, verfügt als begrenztes Metabewusstsein über die Fähigkeit zur Selbstreflexion, im Gegensatz zum unbegrenzten M@L als rein phänomenalem Bewusstsein (d.h. "es ist irgendwie", M@L zu sein); während wir Gefühle und Gedanken haben, IST er – ebensolche oder andere oder ganz andere – Gefühle und Gedanken.

Der M@L dissoziiert uns zu Beginn unseres individuellen Lebens bzw. reintegriert uns zu dessen Ende. Wie etwa beim Aufwachen aus einem Traum mein Traum-Avatar unwiderruflich stirbt und mir bewusst wird, dass auch alle anderen geträumten Personen nur (m)eine Illusion waren, so kehrt im Tod – sozusagen beim Aufwachen aus meinem Leben – die Erinnerung zurück, dass wir alle in Wahrheit eins sind. Mein persönliches Ich stirbt unwiderruflich den sog. Ego death, seine Geschichte allerdings bleibt erhalten im M@L als "kollektivem Unbewusstem" (unbewusst aus Perspektive des Alters, aber phänomenal bewusst als M@L).

N.B.1 Wenigstens in den Psychowissenschaften hätte sie doch Standard werden können, die Ontologie von C. G. Jung: alles ist Psyche. Das Gehirn ist dabei materielle Erscheinung des Ego, der Körper materielle Erscheinung des "persönlichen Unbewussten" und die unbelebte Natur materielle Erscheinung des "kollektiven Unbewussten". Wenn der Körper (nur) Abbild unserer individuellen psychischen Verfassung ist, bedeutet das etwa für die Medizin, dass sie eine ganz und gar psychosomatische sein müsste.
N.B.2 Falls ich es richtig zuordne, beschreibt schon das Tibetische Totenbuch (vgl. Bardo Thödol) neben der illusorischen Außenweltwahrnehmung des wachbewussten Ego die etwa im Traum erlebten Innenwelten des persönlichen Unbewussten, welche man sich durch Einübung des Klarträumens als eigene Projektionen bewusstmachen kann, und schließlich das echte Jenseits des (vom Diesseits aus gesehen) kollektiven Unbewussten, welches man durch lebenslange Einübung des Sterbens erreicht, indem man sich im entscheidenden Moment nicht mehr von eigenen Projektionen täuschen lässt bzw. das sog. klare Licht der Befreiung erkennt – der Buddhismus lehrt den aktiven Ausstieg aus dem Kreislauf der Wiedergeburten (vgl. Samsara) bzw. den aktiven Aufstieg zu höchstem Bewusstsein durch Verlöschen (vgl. Nirvana).

Überhaupt ist der M@L allwissend, nur dass er Bewusstseinsanteile in Form von Lebewesen dissoziiert und dann gewissermaßen als todbringender Sensenmann wieder erntet (daher wohl auch die schlechte Idee, dem Schöpfer gefallen zu wollen, indem man seiner Ernte etwa durch kultische Opferung von Tieren oder gar Menschen vorgreift). Keine Information geht je verloren, das universelle Bewusstsein ist eine vollständige Datenbank. Kastrup vermutet, dass der Glaube an Wiedergeburt entstanden ist, weil bisweilen eine alte Biographie in einem neuen Whirlpool landet, sofern zwischen den beiden eine besondere Affinität besteht. Und dass es echte Medien für Nachtodkontakte gibt, deren dissoziative Grenze zwischen privatem Bewusstsein und M@L außergewöhnlich porös ist, so dass diese Menschen im M@L (vgl. Akasha-Chronik) lesen können, per assoziativen Zugriff sozusagen.

Schopenhauer setzt das "Ding an sich" – nach Kant ontologisches Primitiv der wirklichen Welt und für uns unerkennbar bzw. stets nur durch trügerische Sinneswahrnehmung vermittelt – in eins mit dem metaphysischen Willen. Und so gibt es für uns als sog. Individuationen dieses Willens dann doch einen Weg zur Erkenntnis: "Wir müssen die Natur verstehen lernen aus uns selbst, nicht umgekehrt uns selbst aus der Natur". Von innen her nämlich können wir z.B. unsere Traurigkeit auch unvermittelt erfahren. Nicht nur von außen her vermittelt durch unsere Wahrnehmung, etwa beim Blick in den Spiegel auf ein tränennasses Gesicht. Und entsprechend besteht auch die übrige Welt an sich aus den endogenen Gefühlen und Gedanken des einen metaphysischen Willens. Für uns jedoch sind diese nicht unmittelbar zugänglich, sondern nur mittelbar durch sinnliche Perzeption.

Erst im Tod, mit dem Ende unserer individuellen Persönlichkeit, werden wir wieder eins mit dem metaphysischen Willen. So erschließt sich die Welt also perzeptiv und endogen in je drei Schritten: die eigene Person erleben wir zugleich von außen (1) und von innen (1'); andere Personen sehen wir nur von außen (2), aber per Empathie, sozusagen durch Analogieschluss von uns selber auf die Anderen, erhalten wir auch von diesen eine Art Innenansicht (2'); die unbelebte Welt schließlich sehen wir nur von außen (3), bis wir unser Leben wieder verlieren oder zumindest mystische bzw. todesnahe Erlebnisse haben, womit wir wieder in der unbelebten Welt aufgehen, zuletzt auch davon Innenansicht erhalten (3').

Psychophysikalisch unterscheidet man ja i.a. eine innere qualitative Welt subjektiver Empfindungen einerseits und eine äußere quantitative Welt objektiver Reize andererseits. Kastrup aber geht aus von einer inneren qualitativen Welt privaten Bewusstseins einerseits und einer "äußeren" (bzw. zugleich unserer innersten!) ebenfalls qualitativen Welt des M@L andererseits, mit der – i.a. nur sehr selektiv durchlässigen – dissoziativen Grenze dazwischen. So hat das private Bewusstsein zwar sehr reduzierten Zugang zum M@L, dafür aber auch eigene Gedanken und Gefühle. Das Physikalische spielt sich nur auf der dissoziativen Grenze ab, als je individuelle Erscheinung einer für uns quantifizierten Umwelt ("Screen of Perception"). Die EINE materielle Welt an sich im ontisch-wirklichen Sinne gibt es nicht, alles ist EIN unbegrenztes Bewusstsein mit vorübergehend abgeteilten Arealen darin. Genauer gesagt: ein BewusstseinsFELD jenseits von Raum, Zeit, Kausalität etc., das über eine dissoziative Grenze hinweg wahrgenommen als physikalisches Feld erscheint –> Einheitliche Feldtheorie, Weltformel.

N.B. Auf diese Weise erledigen sich grundsätzliche Probleme, welche nur qua Materialismus überhaupt bestehen: a) "Das harte Problem des Bewusstseins", d.h. wie aus einer Welt messbarer Quantitäten eine Welt empfundener Qualitäten hervorgeht – denn für den Idealismus ist eben umgekehrt die qualitative Erfahrung primär, und ihre quantitative Beschreibung ist daraus abgeleitet wie die Landkarte aus einer Landschaft. b) Das sog. Messproblem, also dass es in der quantenphysikalischen Mikrowelt entweder nicht mehr deterministisch zugeht oder verborgene Variablen bzw. zahllose Paralleluniversen angenommen werden müssen – denn für den Idealismus liegt ontologisch eben umgekehrt eine nichtphysikalische bzw. mentale Essenz zugrunde, in der noch alles mit allem zusammenhängt, und erst die je individuelle Wahrnehmung reduziert diese dann zu ausschnitthaften physikalischen Erscheinungen. c) Das Rätsel, wie die Feinabstimmung der physikalischen Naturkonstanten in einem einzigen Universum ausgerechnet diejenige sein kann, welche menschliche Existenz ermöglicht (sog. anthropisches Prinzip) – denn für den Idealismus erscheinen eben umgekehrt nicht wir im Physikalischen, sondern das Physikalische in uns.

Noch einmal: unsere individuelle Wahrnehmung erzeugt die physikalische Welt als Erscheinung (für uns) aus der wirklichen Außenwelt (an sich). Vergleichbar der begrenzten Anzahl von Instrumentenanzeigen im Cockpit eines Flugzeugs (Screen of Perception –> "Dashboard of Dials"), mit deren Hilfe man ohne direkte Sicht nach draußen durch den Sturm steuert. So fundamental Erscheinendes wie Raum und Zeit sind subjektive interne Skalen unserer Kognition, ein objektives externes Blockuniversum gibt es nicht. Die Welt als der eine M@L hat in Wirklichkeit eine logisch-assoziative Struktur ohne Ausdehnung, ihre physikalische Verkörperung bzw. Entfaltung in Raum und Zeit findet nur in unserer Anschauung statt. Die Entstehung scheinbarer Kausalität lässt sich sinnbildlich aufzeigen am Beispiel einer umherlaufenden Katze, die wir durch einen engen Schlitz im Zaun beobachten: stets gerät zuerst ihr Kopf ins Blickfeld, dann ihr Schwanz – aber wenn wir hier eine kausale Abfolge hineininterpretieren, liegt das an unserer eingeschränkten Wahrnehmung.

Die seitens unserer Wahrnehmung vorgenommene datenreduzierende Abbildung auf wesentliche Parameter ist dem evolutionären Überlebensdruck geschuldet. Der individuelle bzw. der kollektive Zeitpfeil unserer Lebensreise existiert gar nicht an sich, sondern nur für uns. Das angeborene Raumzeit-Gerüst in uns wird bloß mit elementaren Empfindungen bestückt, und diese wiederum werden mithilfe erlernter Narrative interpretiert. Die "objektive" Wissenschaft ist deshalb nicht falsch, aber sie ist "Convenient Fiction", d.h. die Welt verhält sich eben nur über unsere dissoziative Grenze hinweg gesehen, als ob sie an sich so sei wie in den raumzeitlichen Modellen beschrieben. Auch Rationalismus, Naturalismus oder Reduktionismus müssen laut Kastrup nicht aufgegeben werden, im Gegenteil: konsequent genug betrieben weisen sie über die metaphysischen Vorurteile des Materialismus hinaus auf die wirkliche Welt hinter unseren Projektionen.

Einordnung in die Philosophie des Geistes bzw. Philosophy of Mind: Laut dem heute üblichen materialistischen und nichtreduktionistischen Paradigma "emergiert" das Bewusstsein im Mesokosmos ab einer bestimmten Evolutionsstufe des Lebens (aber ist die Annahme sog. starker Emergenz von etwas völlig Neuem nicht ein versteckter Dualismus?), laut materialistischem Reduktionismus bis Eliminativismus ist Bewusstsein ein schwach emergentes i.S.v. prinzipiell erklärbares Produkt des Gehirns bis gar nicht wirklich existent (aber wer hat dann diese Illusion?). Laut Kastrups analytischem Idealismus ist das Universum IM Bewusstsein, hier ist umgekehrt Materie ein auf Bewusstsein reduzierbares Epiphänomen.

Ein dritter Substanzmonismus will die Entscheidung zwischen Materie und Bewusstsein als einziger Substanz überwinden: laut neutralem Monismus bzw. Eigenschaftsdualismus sind sowohl Materie als auch Bewusstsein Aspekte derselben (unbestimmten, neutralen) Substanz. Laut Panpsychismus liegt das Bewusstsein im Mikro- bzw. Makrokosmos begründet => Kombinationsproblem der bewussten Elementarteilchen im Mikropsychismus bzw. Dekombinationsproblem des bewussten Universums im Kosmopsychismus – aber diese beiden Probleme sind laut Kastrup nicht symmetrisch: während die Lösung des Kombinationsproblems bereits an seiner falschen Grundannahme ontisch eigenständiger Elementarteilchen scheitert, weil diese nur nominell als charakteristische lokale Bewegungsmuster eines Feldes existieren ("man kann die Welle nicht aus dem See nehmen und nach Hause tragen, sie ist ein Tun des Sees"), hat er zur Lösung des Dekombinationsproblems das empirisch nachweisbare Phänomen der Dissoziation parat, aber eben als Idealist –> dissoziativer Idealismus.

Statt wie im vierten Jenseitsmodell durch hierarchisch aufsteigende Wiedergeburten langsam aber sicher gen spirituelle All-Einheit zu streben, findet das Erwachen im achten Modell nur "zwischenzeitlich" im instinktiven M@L statt. Und während das vierte Modell i.a. als zumindest relativ gerecht gedacht wird, d.h. dass jeder einen im Endeffekt für alle gleich schlimmen Leidensweg gehen muss (vgl. Karma), herrscht im achten Modell eher Willkür. Aber mit dem Ego death die vorübergehende Illusion der eigenen Besonderheit schlagartig zu verlieren und wieder in der einen ultimativen Wirklichkeit des M@L aufzugehen, hat bei aller damit verbundenen Unsicherheit und Angst auch etwas von Ernüchterung und Erleuchtung, von Abenteuer und Heimkehr.

Modell 8) ist der letzte Schritt zu einem Jenseitsmodell der Neuentstehung (vgl. Anatta, No Self): statt wie im siebten Modell je Individuum ein ewiger unpersönlicher Kern bzw. Ich-Punkt, der nie in Reinform vorkommt, sondern zufällig von immer wieder anderen endlichen Persönlichkeiten umhüllt wird, nun im achten Modell die eine allen gemeinsame Ichheit des M@L, welche willkürlich immer wieder neue endliche Persönlichkeiten dissoziiert bzw. reintegriert. Statt für jeden der gleiche eigene Ich-Punkt nun für alle ein und derselbe unbegrenzte M@L.

Seelenwanderung –> Neuentstehung: a) unsterbliche, sukzessive in sterbliche Körper schlüpfende und sich dort stetig weiterentwickelnde "body-hopping soul" in Modell 4); b) weitere Unterteilung dieser individuellen Seele (als alleiniges Gegenstück des individuellen Körpers) in den Willen (irrationaler Teil der Seele) und den Intellekt (rationaler Teil der Seele); und zwar in den sterblichen Willen und den unsterblichen Intellekt (Plato, anfangs auch Aristoteles) bzw. in den unsterblichen Willen und den sterblichen Intellekt (Schopenhauer, laut ihm erbt man den Willen vom Vater und den Intellekt von der Mutter); c) unsterblicher, unpersönlicher, für alle Subjekte gleicher Ich-Kern in Modell 7); d) Reintegration alter bzw. Dissoziation neuer Subjekte in/vom selben transpersonalen M@L in Modell 8).

Meine früheren Leben? Das achte Jenseitsmodell bildet keine solch eindimensionale Kette. Wie jeder Avatar in einem Traum immer nur einmalig-endliche Illusion der träumenden Person ist, so ist jedes Ego immer nur einmalig-endliche Illusion des M@L. Das einzig Wirkliche ist der M@L. Allerdings könnte im Tod die dissoziative Grenze, statt sich ganz aufzulösen bzw. sich auf den ganzen M@L auszuweiten, sich nur teilweise auflösen bzw. nur einen Teil des M@L in sich aufnehmen – und so könnte aus dem alten Ego ein höheres Wesen werden.

Eine Hierarchie der Dissoziation mit mehr als nur zwei Ebenen anzunehmen liegt nahe – sehr unwahrscheinlich, dass es zwischen uns und dem M@L keine höheren Wesen geben sollte. Die tradierten Mythen sind voll von ihnen, die introspektive Mystik spricht dafür, die alltägliche empirische Evidenz jedoch dagegen – evolutionsbedingt erfasst unsere herkömmliche Wahrnehmung eben nur das unmittelbar Überlebensdienliche.

Eine hierarchische Version von Modell 8) ohne vollständige Auflösung dissoziativer Grenzen im Tod und mit sukzessiver Läuterung des Willens entspräche in etwa Modell 4) –> Seelenwanderung (aber wie käme es dann zur Amnesie früherer Leben?). Modell 8) mit vollständiger Auflösung dissoziativer Grenzen im Tod und ohne zwingenden ethischen Fortschritt ist meine aktuelle Position, m.E. konform mit Kastrup –> Neuentstehung.

Vernunft und Moral sind junge Errungenschaften unseres kulturellen Lebens, während der instinktive M@L jenseits von Vernunft und Moral empfindet und agiert. Kastrup glaubt, dass der M@L zwar keinen vorbedachten Plan hat, wohl aber ein per Trial&Error gefühlsmäßig verfolgtes Ziel, wofür die Individuen im Laufe ihrer Evolution mit unsagbarem Leid bezahlen. Wir sind die metakognitiven Augen des Systems, unser Beitrag liegt im Bezeugen seines irreduziblen – d.h. nicht vorherzusehenden, nicht vorauszuberechnenden, nicht abzukürzenden – Prozesses bzw. in der dabei zu gewinnenden Selbsterkenntnis; und es ist schon allein den Vorfahren geschuldet, ihr Opfer in Ehren zu halten bzw. Philosophie und Wissenschaft nach Kräften weiter voranzutreiben.

Kastrup reagiert somit eher westlich-lebensbejahend: der Natur nicht im Weg stehen, denn sie kann nur "durch uns" selbstreflexiv werden und versucht auf diese Weise etwas zu erreichen. Die gemeinsame Botschaft von Buddha, Jesus und den anderen Propheten: es geht nicht um uns, sondern um etwas viel Größeres – wir sollten der Natur erlauben, uns in ihrer allumfassenden Symphonie wie ein Instrument zu spielen. Insofern und nur insofern hat unser Leben und Leiden einen inhärenten Sinn, und zwar unabhängig davon, ob wir ihn erkennen können oder nicht. Gerade der gemeine Mann ist der wahre Held des Lebens, wenn er seine Rolle in dem Ganzen mitnichten erfasst und nichtsdestotrotz erfüllt.

Wo will der M@L denn hin? Kastrup nennt als Kandidaten Freuds Willen zur Lust, Nietzsches Willen zur Macht und Fromms Willen zum Sinn (welcher für uns Menschen der Königsweg ist), und plädiert dann für die Selbsterkenntnis, mit den höchstentwickelten Spezies des Universums als vom M@L dissoziierte Vorreiter. In einem Satz: der Sinn unseres Lebens scheint in der Selbsterkenntnis des M@L zu liegen.

N.B. Schon die Bibel hat Bilder dafür: Kastrup interpretiert erstens die Schöpfungsgeschichte dergestalt, dass der Teufel (als Schlange im Baum der Erkenntnis) den Menschen im Auftrag Gottes zum Sündenfall –> Selbstreflexion verführt, zweitens den Dialog zwischen Gott und Hiob im Sinne Jungs dergestalt, dass der rechtschaffene Hiob sich dem zornigen Gott als moralisch überlegen erweist, und drittens das Neue Testament dergestalt, dass Gott sich als sanftmütiger Jesus inkarniert und somit schließlich selber den Schritt vom phänomenal Bewussten zum metakognitiv Bewussten vollzieht, sich entwickelnd zum Summum Bonum. Der Moralist und Softie in mir, lebenslang flüchtend vor der toxischen Männlichkeit des alttestamentarischen Gottes, will diese These nur zu gern glauben, aber der Pessimist sieht darin eher einen frommen Wunsch.

Ich selber halte mich an das pessimistische Verständnis der Willensmetaphysik gemäß Bahnsen, Mainländer und v. Hartmann, wo die Individuation des M@L eher von Verzweiflung denn von Zielstrebigkeit kündet. Mein als letztes zum obigen Schaubild hinzugefügtes Modell 8') spekuliert folgendermaßen über die Motive des M@L: er flieht seine Allgegenwart und Allwissenheit, sucht in endlichen Dissoziationen bzw. Träumen Ablenkung von bzw. Auswege aus seinem ewigen Dasein. Der Tod bedeutet für uns zwar umgekehrt Erwachen bzw. Erleuchtung i.S.v. Wissenserweiterung aufs Ganze, aber eben zugleich den Verlust des Ego bzw. jeglicher Reflexionsmöglichkeit, und so ist die Reaktion darauf wiederum eine instinktive, nämlich sich als M@L aus dem holistischen Sein ins partikulare Seiende zu verabsentieren (siehe dissoziative Identitätsstörung). Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite, somit ist der Fluchtpunkt unseres Diesseits sein Jenseits und der Fluchtpunkt seines Jenseits unser Diesseits. N.B. Oder geht es doch um Selbsterkenntnis statt um Flucht, und der M@L schickt seine problematischen Gedanken und Gefühle quasi als dissoziierte Lebewesen in Klausur, auf dass sie von diesen reflektiert werden, um schließlich gereift zur Wiedervorlage zu gelangen; und wir selber setzen das dann – wie kleine Töchter als Puppenmütter – analog nach unten fort, indem wir träumen?

Schopenhauer ist Determinist, dennoch ist bei ihm der metaphysische Wille als Ganzes ein freier Wille, einfach weil er kein äußeres Gegenüber hat, das ihn zu irgendetwas zwingen könnte – er ist ausschließlich bestimmt durch das, was er selber ist; also ist die Welt gewollt und damit gerechtfertigt. Für uns als Individuationen des metaphysischen Willens liegt moralische Freiheit bzw. Verantwortung darin, dass die Seele ihren intelligiblen Charakter selbst wählt. Der empirische Charakter ihrer nächsten irdischen Inkarnation hingegen ist unabänderliche Konsequenz dieser Wahl: "Der Mensch kann zwar tun, was er will. Er kann aber nicht wollen, was er will." Für den je gegenwärtigen Moment sieht Schopenhauer folgenden Weg aus der Misere: Erlösung durch Verneinung des Willens, praktiziert etwa als interesselos-objektive Betrachtung in der Kunst, am beispielhaftesten jedoch als Askese im Mönchtum des Ostens. We have no free will, but free won't!

N.B. Askese bzw. Verzicht sollte m.E. auch unsere bevorzugte Reaktion auf die Umweltzerstörung sein. Nicht von ungefähr lautet die Adresse dieser Webseite quietist.de – ich fürchte, dass menschlicher Tatendrang i.d.R. zu blindem Aktionismus führt, welcher besser unterbliebe. So hinterlassen die Bewohner der industrialisierten Welt i.a. einen viel zu großen CO2-Fußabdruck, aber das ist ihnen entweder egal ("Nach mir die Sintflut!") oder sie setzen darauf, dass die Probleme, welche wir uns mit (zu viel) Technologie eingehandelt haben, dereinst mit (noch mehr) Technologie gelöst werden können.

Dürfen wir Lebewesen wenigstens für die ferne Zukunft auf das ein für alle Mal gültige Ende unseres Leidens hoffen? Schopenhauer prophezeit, dass der an sich unzerstörbare Wille, in seiner individuierten Form durch viele Wiedergeburten mit stets neuem Intellekt belehrt und gebessert, sich schließlich selbst aufhebt. (Ein optimistischer Lapsus, kommentiert Horkheimer: das Leiden ist ewig.) Aber wie viel Leid muss den Individuen noch geschehen, bevor der M@L suizidal wird? Jedenfalls wäre eine solche Bewusstlosigkeit at Large die sicherste (Er-)Lösung.

N.B. Der Idealismus mit seiner Behauptung eines mentalen statt materiellen Weltengrundes wird oft abgelehnt mit dem intuitiven Argument, dass die Prozesse der unbelebten Natur doch viel zu gesetzmäßig i.S.v. mechanisch abliefen, um Ausdruck eines fühlenden oder gar denkenden M@L zu sein. Aber dieses Argument ist ein anthropomorphisierendes, überträgt menschliche Umsicht und Bedächtigkeit auf die unbelebte Natur – auch der analytische Idealist weiß, dass diese ohne Möglichkeit zur Selbstreflexion "einfach ist was sie ist", dass die grundlegenden platonischen Ideen bzw. Archetypen quasi in Stein gemeißelt sind bzw. dass ein losgelassener Gegenstand nicht zögert, bevor er fällt.

Zum Thema moralische Freiheit: Schopenhauer sagt, dass wir in der phänomenalen Welt notwendig so handeln, wie wir handeln; erst in der noumenalen Welt seien wir dann aufgrund von bislang gesammelten moralischen Einsichten des universalen Mitleids (vgl. Hinayana, Kleines Fahrzeug, Erste Fahrt) oder übermäßig leidvollen Erfahrungen am eigenen Leib (vgl. Mahayana, Großes Fahrzeug, Zweite Fahrt) in der Lage, ein moralisch besseres nächstes Leben frei zu wählen. Kastrup hält die Frage nach dem freien Willen für semantisch leer, darüber hinaus sei es absurd zu glauben, dass Egos den M@L unter ihre Kontrolle bringen könnten; am ehesten noch werden wir durch Hingabe an den M@L dessen freien Willens teilhaftig, aber strenggenommen ist selbst der Wille als Ganzer nicht frei zu nennen, denn er ist, was er ist – ein unwiderstehlicher Drang. Ich selber kann mich evt. aufgrund frühzeitiger christlicher Indoktrination bis heute der hartnäckigen Illusion (?) nicht erwehren, im irdisch-individuellen Dasein die freie Wahl zu haben bzw. gehabt zu haben, mich moralisch gehen zu lassen ("Freiheit von") oder mich moralisch anzustrengen ("Freiheit zu") – samt den damit einhergehenden Gefühlen von Schuld und Reue; hier lautet Kastrups erlösende Botschaft: there is no 'could have been'!

N.B.1 Aber was, wenn sie doch existiert, die Möglichkeit moralischer Bemühung als widernatürlicher Freiheitsgrad unseres ansonsten natürlich determinierten Lebens? Wenn wir, obwohl wir ein Produkt der moralisch gleichgültigen Natur sind, ihr dennoch moralisch entgegenwirken können? Sollten wir nicht jede noch so winzige Chance nutzen, die Natur moralisch zu korrigieren? Evt. gar in Richtung ihrer Umerschaffung bzw. Abschaffung? Am besten durch passiven Widerstand bzw. Entsagung? Grundsätzlich jedenfalls ist die Möglichkeit mentaler Verursachung (d.h. private Gedanken bewirken über das persönliche Privatbewusstsein hinausgehende Handlungen bzw. deren Hemmung) im Idealismus gegeben – gar alles ist mental und die materielle Welt existiert nur als reduzierte Darstellung davon in unserer Wahrnehmung.
N.B.2 Absolute Harmonie bzw. absolutes Nichtsein sind m.E. leider unerreichbare Ideale – Gutsein i.S.v. "Sauberbleiben" ist m.E. ein klein wenig realistischer, und auch wenn ich nicht wie Schopenhauer an hierarchische Wiedergeburten einer persönlichen Seele glaube, so weist mir mein moralischer Kompass –> Gewissen zumindest für dieses aktuelle Leben einen ersten theoretischen Weg des distanzierten Analysierens und einen zweiten praktischen Weg des duldsamen Durchstehens einer unabänderlich schlechten Welt, die vernünftigerweise niemals hätte sein dürfen.


Wozu Jenseitstheorien? Ob mehr oder weniger bewusst, jeder lebt mit einem um sein Leben herum gedachten Rahmen – stelle er sich darunter nun Harmonie oder Nichts oder Ungewisses oder was auch immer vor. Aus existentiellen Gründen geht es uns wohl oder übel an, wo wir herkommen und wo wir hingehen, und wie sich der Tod auf unser Hauptproblem auswirkt: werden wir mächtiger oder ohnmächtiger, wird all das unabsichtliche Leid bzw. all das absichtliche Böse irgendwann überwunden oder hat es zumindest irgendeinen höheren Sinn?

Aber dürfen wir uns metaphysische Spekulationen noch leisten? Sollte nicht – zumal in politischen, ökologischen etc. Krisenzeiten – heute endlich "Shut up and calculate!" gelten, um durch Vorsprung in Wissenschaft und Technik brutaler Barbarei Einhalt gebieten zu können? Mir als metaphysisch Traumatisiertem jedoch fehlte auf Dauer die Disziplin zur skeptischen Enthaltsamkeit, ich musste Jenseitsmodelle suchen und finden, die einerseits plausibler und andererseits weniger schlimm sind als das völlig Ungewisse aus pessimistischer Warte.

Ich philosophiere nicht aus Neigung oder Neugier oder gar Leidenschaft, sondern in Notwehr. "Das Leben ist eine missliche Sache; ich habe mir vorgesetzt, es damit hinzubringen, über dasselbe nachzudenken", sagt Schopenhauer. Mögen viele Philosophen die lebensbejahende Liebe zur Weisheit pflegen und eine geistige Entwicklung hin zu immer Höherem bzw. Komplexerem anstreben – mir geht es beim Nachdenken über Leben und Tod in erster Linie um lebensverneinenden Trost und Erlösung, ich sehne mich v.a. nach Einfachheit bzw. nach dem Nichts.

Zum obigen Schaubild der Jenseitsmodelle: Die Nummerierung von 0) bis 8) zeigt ihre Reihenfolge in meiner Biographie. Die Anordnung entlang der x-Achse zeigt ihr Ranking in Richtung m.E. zunehmender Plausibilität, welches aktuell identisch ist mit der biographischen Reihenfolge. Die Anordnung entlang der y-Achse zeigt ihr Ranking in Richtung m.E. zunehmender Attraktivität. N.B. Das Schaubild stellt nur diese drei Reihenfolgen dar, keine unterschiedlich langen biographischen Dauern oder unterschiedlich großen Abstände zwischen den direkten Nachbarn desselben Rankings.

Pessimismus im landläufigen Sinne – nicht zu verwechseln mit dem philosophischen Pessimismus, siehe weiter unten – heißt ja, ständig das Schlimmste zu befürchten. Ein Jenseitspessimist im landläufigen Sinne findet also das attraktivste Modell am unplausibelsten und das unattraktivste Modell am plausibelsten. (Ersteres trifft auf mich mit Modell 0) zu, die Hölle jedoch halte ich heute für sehr unplausibel; immerhin liegt das plausibelste Modell 8) recht weit unten.) Und er findet das unattraktivere Jenseitsmodell einer Ontologie plausibler als das attraktivere. (Trifft auch zu: das untere Modell einer Farbe liegt stets rechts vom oberen.)

N.B.1 Nach dem Vorbild meiner Kindheitsreligion mit Himmel&Hölle habe ich jeder – außer der allerersten, frühkindlich-unreflektierten – meiner geglaubten Ontologien ein attraktiveres und ein unattraktiveres Jenseitsmodell zugeordnet; jede meiner geglaubten Ontologien hat im Schaubild ihre eigene Farbe, orientiert an den spektralen Bändern des Regenbogens (siehe Legende im grauen Kasten).
N.B.2 Im wörtlichsten Sinne pessimistisch wäre allerdings genau dieses im Schaubild nicht vorkommende Gegenteil der absoluten Harmonie.

Mit jeder neuen Ontologie hoffte ich wohl zuerst auf ihr für mich attraktiveres Jenseitsmodell und befürchtete nach gründlicherem Nachdenken dann doch ihr für mich unattraktiveres. Aber warum waren die Abstürze in meiner Biographie mit jeder neuen Ontologie weniger tief? Warum weisen die immer weniger üblichen, denkerisch immer weniger trivialen Ontologien einen immer geringeren Attraktivitätsabstand ihrer beiden dichotomen Jenseitsmodelle auf? Offenbar wurden die krassesten Jenseitsmodelle mit der größten moralischen Schlagkraft für die einfachsten Gemüter konzipiert. Evt. bin ich vor diesen krassen Modellen geflohen, diese Flucht im Nachhinein rationalisierend. Evt. habe ich unbewusst eine neue Ontologie nur dann für mich entdeckt, wenn ihre negative Seite weniger schlimmer war als die der bisher geglaubten Ontologien. Oder es war einfach Glück im Unglück. Jedenfalls bleibt festzustellen: insgesamt zeigt sich neben einem kurzfristigeren Hin&Her zwischen Abstürzen und (unvollständiger) Erholung auch eine langfristigere Nivellierung – und sieht man sich nur die unteren vier Modelle an, habe ich mich gewissermaßen nachdenkend hochgearbeitet.

Ein weiterer Absturz aber, der mir erst kürzlich dämmerte und der als evt. prägendster Absturz im Schaubild trotzdem nicht herausragt, weil darin die unmittelbaren Nachbarn des Attraktivitätsrankings alle im gleichen Abstand voneinander dargestellt sind, fand evt. schon ganz zu Beginn der biographischen Reihenfolge statt, nämlich der Absturz von 0) nach 1)&2): von frühkindlicher Nahtoderfahrung der All-Einheit zur schwarzpädagogischen Lehre der ewigen Trennung Auserwählter und Verdammter durch das Jüngste Gericht.

Am schlimmsten war meine Zeit als religiöser Pessimist: erst die eben genannte Trennung und zum Schluss gar die eigene Höllenfahrt vor Augen! Am zweitschlimmsten war meine Zeit als szientistischer Pessimist: auch die erkenntnistheoretische Abstinenz von jeglicher Jenseitsvorstellung machte mir große Angst. Am besten fühle ich mich bisher noch als idealistischer Pessimist: zwar bedeuten die zufällige Wiedergeburt bzw. die Reintegration in den M@L den kompletten Verlust meiner Persönlichkeit bzw. ein "Zurück zur Natur" ohne Vernunft und Moral, aber damit habe ich auf der ontologischen Basis von (inter-)subjektivem bzw. objektivem Idealismus zwei Jenseitsvorstellungen gefunden, die mir plausibler sind und weniger Angst machen als die Hölle und das völlig Ungewisse.

N.B. Wie ist die gelbe Ontologie zu verstehen? Sind Materialismus und Antimetaphysik nicht zwei verschiedene Ontologien bzw. ist Letztere nicht der Rückzug vom Ontischen aufs Epistemische? Soweit ich den Szientismus kennengelernt habe, springt er da zwischen zwei Extremen, nimmt aber nie beide zugleich in den Blick. Entweder postuliert man entgegen aller ontologischen Sparsamkeit und skeptischen Zurückhaltung eine bewusstseinsunabhängige Dinglichkeit bzw. glaubt an diese sogar unverbrüchlicher als ans eigene Bewusstsein (s.o.: eliminativer Materialismus) oder man zieht sich auf das völlig unerkennbare "Ding an sich" nach Kant zurück (s.o.: das erkennende Subjekt hat nirgends unmittelbaren Zugang zur wirklichen Welt, nur den durch trügerische Sinneswahrnehmung vermittelten). Und ganz entsprechend bei den zugehörigen Jenseitstheorien: wer das i.a. als sicher geltende Nichts i.S.v. völliger Bewusstlosigkeit anzweifelt, löst skeptische/agnostische Rückzieher aus – na dann halt völlig Ungewisses! Aber spätestens hinsichtlich der damit einhergehenden gefühlsmäßigen Erwartungen an den Tod entsteht hier m.E. ein krasser Gegensatz, man könnte fast sagen: Nichts und Ungewisses sind Himmel und Hölle des pessimistischen Szientisten (oder eben Hölle und Himmel des optimistischen Szientisten), wobei mindestens eine Seite dieser Jenseitsdichotomie stets verdrängt wird.

Viel mehr noch als den landläufigen Pessimismus meint meine Selbstbezeichnung als Pessimist den philosophischen Pessimismus, also die Ansicht, das Dasein wäre im Großen und Ganzen besser nicht. Nach meinem Dafürhalten ist das die grundlegendste Kritik. Parmenides sagt: das Sein ist, das Nichts ist nicht. Der philosophische Pessimist fügt hinzu: leider! N.B. Falls daran nichts zu ändern ist und eh nur das Sein erträglicher gestaltet werden könnte, ist der Pessimist ganz umsonst bockig, denkt der Pragmatiker. Der Prinzipientreue aber denkt: keine gute Miene zum bösen Spiel – bewusstmachen statt verdrängen, dass besser Nichts wäre. Gefährlich allerdings, sobald ein naiver Materialismus ins Spiel kommt, welcher es für evident oder gar definitiv erwiesen hält, Bewusstsein sei eine junge Entwicklung der Evolution und individuelle oder gar kollektive Bewusstlosigkeit bei Bedarf wiederherzustellen.

Während der Jenseitsoptimismus Wunsch und Wirklichkeit bis zur Untrennbarkeit vermischt, will ich nicht einfach nur im Gegenteil den Teufel an die Wand malen, sondern herausfinden, was ich wirklich hoffen darf bzw. glauben kann. Ist mein Diesseitspessimismus angesichts all des Leids in der Welt eine gleichbleibende Diagnose, ist mein Jenseitspessimismus trotz mehrfachen Wechsels zur je plausibleren Ontologie ein stets wiederkehrendes Fazit. Die beiden Dimensionen Attraktivität und Plausibilität stehen in meinem Schaubild senkrecht zueinander, sind idealerweise erst einmal inkommensurabel. Realerweise ist unattraktiver aber dann doch plausibler, ist das m.E. bei Weitem überwiegende Unattraktive unserer Vergangenheit und Gegenwart plausiblerweise auch auf unsere Zukunft zu extrapolieren, sofern die Verwendung solch zeitlicher Begrifflichkeiten angesichts des zeitlosen M@L von Modell 8) noch statthaft ist.

Nichtsdestotrotz braucht auch oder gerade der Pessimist eine stabile Orientierung für seine dunkelsten Stunden, und die meine ist bis heute der liebe Gott meiner Kindheit bzw. das Licht meiner ersten NTE (siehe ganz unten): wenn es denn erstens unabdingbar so bleiben muss, dass das Sein ist und das Nichts nicht ist, und wenn zweitens auch die quietistische Option eines völlig unbewegten Seins analog der totenstillen See nicht besteht, dann gilt meine Sehnsucht drittens dem evidentermaßen leider in unabsehbarer Ferne befindlichen Ziel – wohlgemerkt nicht in absehbarer Nähe wie bei Modell 0), 1), und 3) – einer Liebe, welche zurückhaltend bis zerknirscht statt stolz bis übermütig ist (also keinesfalls i.S.v. Kampf und Sieg – wer sagt, dass die Liebe kämpft bzw. siegt, meint eine andere Liebe als ich).

N.B.1 Inwieweit bin ich mit meinen Jenseitsmodellen in der Postmoderne angekommen? Als Anhänger Schopenhauers bleibe ich pessimistischer Nostalgiker eines Universalismus, welcher mit Nietzsches Postmoderne sein Ende fand. Die letzten Universalisten orientieren sich noch an jenem höchsten Ziel der solidarischen Erlösung aller Leidenden, statt schon ausschließlich um mehr Macht für sich selbst bzw. die eigene partikulare Gruppe zu kämpfen. Aber ich muss zugeben, dass jener Universalismus angesichts der schlechten diesseitigen Welt evt. nur etwas für Spinner mit einer Nahtoderfahrung o.ä. sein kann.
N.B.2 Inwieweit ist die postmoderne Philosophie selber mit ihren Jenseitsmodellen in der Postmoderne angekommen? Man würde doch eigentlich erwarten, dass die nachgeschichtlichen Philosophen alle möglichen Modelle aus dem Steinbruch der Geschichte bergen, aber so recht pluralistisch wollen zumindest ihre Erwartungen an den Tod anscheinend nicht werden – meines Wissens nach sind sie mit ihren Jenseitsmodellen einfach im Mainstream der Moderne hängengeblieben (–> Nichts, Ungewisses). Und auch Nietzsches eigener Vorschlag der ewigen Wiederkehr des Gleichen findet bei ihnen keine Resonanz.


Biographische Reihenfolge (siehe Schaubild von links nach rechts) und biographische Dauer:

0) Harmonie: als Kleinkind habe ich evt. unbewusst im Jenseitsrahmen der absoluten Harmonie gelebt – auf diese Idee brachte mich eine NTE*-Kollegin im Oktober 2022. Auffällig und vermutlich weitere frühe Nachwirkungen meiner ersten NTE mit 3 Jahren (siehe ganz unten) waren das Vermeiden jeglichen Wettstreits, beflissenes Befolgen religiöser Regeln, und spätestens seit der Höllendrohung ein Zurückscheuen vor allem Magischen.

1) Himmel: bis ca. 15 blieb ich gemäß meiner katholischen Erziehung noch überwiegend zuversichtlich, in den Himmel zu kommen – als gottesfürchtiger Diener. Ich erinnere mich zwar an wenig, gut jedoch an meine Jenseitsfixiertheit, die Verzweiflung über eigene und fremde Sünden ("schwarze Flecken auf der Seele") bzw. darüber, dass es nicht alle in den Himmel schaffen. Die anderen Sünder machten sich scheinbar keine derartigen Sorgen.

2) Hölle: mit ca. 15 bekam ich dann kurzzeitig maximale Angst, dass ich selber in der Hölle lande. Ich hatte begonnen Gott zu hassen, nachdem meine erste große Liebe in die Brüche gegangen war. Aber die lange latent schwelende und zuletzt offen ausbrechende Höllenangst ließ bald wieder nach – die naturwissenschaftliche Erziehung rettete mich, ohne dass sie eine eventuelle Rivalität zur religiösen Erziehung selber thematisiert hätte.

3) Nichts: mit ca. 15 bis weit in die 30er hinein war ich in erster Linie materialistischer Szientist. Mein religiöses Trauma aus Kindertagen äußerte sich zuerst nur in revanchistischen Spötteleien. Im weiteren Verlauf aber wurde ich suizidal, allerdings ohne darunter allzusehr zu leiden – denn mir war (und ist bis heute) klar, dass fast jedes Leben schlechter als nichts und eigentlich nicht lebenswert ist. Hauptsache für den materialistischen Pessimisten: er weiß sein persönliches Nichts in tröstlicher Nähe.

4) All-Einheit: mit ca. 30 informierte ich mich eingehender über Spiritualität, wegen der esoterischen Grenzgänger meines wissenschaftlichen Fachs. Als Patient mit funktionellen Beschwerden geriet ich zudem an alternativmedizinische Lehren. Schließlich stieß ich mit 38 auf ein Buch über NTE – und erkannte schlagartig, dass ich selbst welche erlebt hatte (siehe ganz unten). Da hörte ich ganz auf, ein Materialist zu sein, wurde jedoch kein Spiritueller, untypisch für einen NTEler.

5) Ungewisses: mit ca. 30 bis 38 hatte ich mich stattdessen zunehmend auf eine antimetaphysische Skepsis zurückgezogen, ernüchtert v.a. durch meine Beschäftigung mit Sprachlogik und Wissenschaftstheorie. Entsprechend quälte mich die Angst vor einem völlig ungewissen Jenseits – nicht so groß wie die akute Höllenangst mit 15, dafür aber jahrelang andauernd. Und wieder: die anderen Agnostiker in meinem Umfeld hatten offenbar kein solches Problem.

6) Ich: mit ca. 38 fand ich dann zum Idealismus, zuerst kurzzeitig als Solipsist. Die Beschäftigung mit Philosophiegeschichte plus meine NTE legten mir nahe: nur das eigene Bewusstsein ist gewiss. Die Welt als mein nicht enden wollender Albtraum – diese sparsamste aller metaphysischen Hypothesen ließ hoffen, alles würde zwar schlimm bleiben, aber wenigstens auf schon bekannte Weise. Schopenhauers verblüffend zutreffender Pessimismus ließ Jenseitsprognosen wieder zu.

7) Andere: mit ca. 38 bis 58 vertrat ich meine eigene Version eines (inter-)subjektiven Idealismus bzw. (Inter-)Subjektivismus passiven Ausgeliefertseins. Alles Sein ist Bewusstsein, unterteilt in individuelle Subjekte (Menschen, Tiere, Pflanzen, Dinge) –> privates Bewusstsein mit großenteils intersubjektiv überlappenden Bereichen. Jedes Subjekt hat einen für alle gleichen ewigen unpersönlichen Kern, umhüllt von seinen immer wieder anderen endlichen Persönlichkeiten.

8) Mind at Large: mit Ende 58 (Mitte 2022) habe ich mich der Kastrupschen Version des objektiven Idealismus angeschlossen. Wir sind alle in Wirklichkeit dieselbe ewige unpersönliche Ichheit. Dieser instinktive M@L dissoziiert illusionäre endliche Egos bzw. Lebewesen privaten Bewusstseins, ist aber als unbelebte Natur NICHT weiter (in Dinge privaten Bewusstseins) unterteilt. NTE erklären sich durch beginnende Auflösung des Ego bzw. Reintegration in den M@L.


Ranking gemäß m.E. zunehmender Plausibilität (siehe Schaubild von links nach rechts):

0) Harmonie: dass alles für alle schon immer gut ist oder zumindest irgendwann gut wird, ist wohl DER Wunsch schlechthin, aber m.E. so ziemlich das Gegenteil der Wirklichkeit. (Ist die Welt die beste aller möglichen? Muss es das Schlechte geben, damit es das Gute geben kann? Wollte Gott, dass wir uns freiwillig für oder gegen ihn entscheiden können? Egal, das Wichtigste jedenfalls fehlt: dass wir wahlweise auch nichtexistieren können.)

1) Himmel: dieser Ort oder Zustand ewigen Glücks als zukünftige Belohnung für endlichen Gehorsam (oder als gegenwärtige Belohnung ewigen Strebens) klingt auch sehr ausgedacht. Es ist vielmehr offensichtlich, aus welchen irdischen Gründen die Machthaber eine jenseitige Belohnung für Demut und Einhaltung von moralischen Geboten versprechen, und dass es diese höchstens als frommes Narrativ, aber niemals in natura geben kann.

2) Hölle: dieser Ort oder Zustand der ewigen Qual als Strafe für endliche Sünden klingt fast ebenso ausgedacht wie der Himmel, und dies zu erkennen war die bislang größte Erlösung meines Lebens. Aber falls Gott in Zukunft oder Gegenwart eine Hölle bereithält, klingt sie für mich wahrscheinlicher als der Himmel, weil sich Gottes Schöpfung offensichtlich viel besser auf die Bereitung von Leid als auf die von Freude versteht.

3) Nichts: zumindest gegenüber dem so offenkundig Ausgedachten von Himmel und Hölle erscheint das Nichts im Tod überzeugend – kein Wunder, dass die gesellschaftliche Mehrheit einer aufgeklärten Welt von der Religion zum Realismus findet und dort ein Leben lang verbleibt. Es sei denn, einer hegt pessimistische Zweifel an der versprochenen Erlösung im Tod und/oder erlebt hyperreale Bewusstseinszustände – auf mich trifft beides zu.

4) All-Einheit: die Spiritualität – hier als Sammlung von Mythen aller möglichen Kulturen zum Thema Jenseits betrachtet, von ihrem praktischen Weg der Meditation u.a. verstehe ich nichts – lag für mich in puncto Plausiblilität stets hinter dem Materialismus, bis ich mich mit 38 an meine NTE erinnerte (siehe ganz unten). Das machte mir die Spiritualität plausibler, den Materialismus unplausibler, und so tauschten die beiden im Ranking ihre Position.

5) Ungewisses: dass es im Jenseits ganz anders kommt als alle denken, ist m.E. zwar wahrscheinlicher als die bisher genannten Modelle, aber unwahrscheinlicher als die im Folgenden genannten Modelle – es wäre doch verwunderlich, wenn uns alles bisherige Leben und Leiden gar nichts lehren könnte darüber, was im Tod auf uns wartet. Die pessimistische Weltsicht Schopenhauers scheint mir ein stabiler Ausgangpunkt für Jenseitsprognosen.

6) Ich: für den Anfang ist es sicherlich keine schlechte Schätzung, dass die unbekannte Zukunft so wird wie die bekannte Gegenwart. Vor die Wahl gestellt, ob ich eine ganz andere, völlig unbekannte Zukunft im Tod für plausibler halte oder eine ewige Fortsetzung meines Lebens, wie ich es bislang kenne, tippe ich auf Letzteres. Dann ist das Leben mein niemals endender Albtraum, und der Tod eine auf ewig in der Zukunft liegende Illusion.

7) Andere: eine noch bessere Schätzung als die, dass alles gleich bleibt: dass es mir mit der Zeit ebenso ergehen könnte wie allen Anderen, in die ich mich heute schon hineinfühlen kann. Dann ist das Leben ein Roulette zufälliger Wiedergeburten als immer wieder Andere, wo jeder einmal jeder sein muss. Eine solch relativ gerechte Unordnung findet jedoch kaum Anhänger, weil jeder sein privilegiertes Leben behalten bzw. nur aufsteigen will.

8) Mind at Large: die beste Schätzung aber scheint mir, dass wir alle in Wirklichkeit dieselbe ewige unpersönliche Ichheit sind, denn dieses Modell ist die Synthese aller vorigen: Harmonie bzw. All-Einheit durch Reintegration in den M@L, Himmel und Hölle qua Selbstbeurteilung am Lebensende, Nichts im endgültigen Ego death, Ganz Anderes bzw. ewige Ichheit des Transpersonalen, immer wieder Andere durch Dissoziation vom M@L.


Ranking gemäß m.E. zunehmender Attraktivität (siehe Schaubild von unten nach oben):

2) Hölle: Qualen auf ewig – DIE Angst seit Menschengedenken. Schlimmstes Leid ohne jeden Ausweg bleibt dem unvoreingenommenen Denken eine unabweisbare Kategorie, sie ist der Fluch unserer Conditio Humana. (Damit wird der Siegeszug des Materialismus verständlich: das moderne Leben ergibt in seiner behaupteten Endlichkeit zwar kaum noch einen Sinn, aber zumindest ist darüber das drohende ewige Leid fast völlig aus dem Blick geraten.)

5) Ungewisses: noch größere Angst als vor dem schlimmsten Vorstellbaren, der Hölle, müsste ein konsequenter Pessimist evt. vor dem Unvorstellbaren im völlig Ungewissen haben. Intuitiv jedoch würde ich der Hölle das völlig Ungewisse i.S.v. ganz Andere vorziehen, weil es ja immerhin auch weniger schlimm sein könnte als die Hölle. Ist das (zu) optimistisch? Trotzdem hat für mich nach der Hölle auch das völlig Ungewisse etwas höchst Bedrohliches.

7) Andere: die zufällige Wiedergeburt als immer wieder Andere verhindert jede dauerhafte persönliche Entwicklung in eine bestimmte Richtung – neues Spiel, neues (Un-)Glück. Aber sie ist tendentiell empathisch einschätzbar und somit schon vertrauenerweckender als das völlig Ungewisse. Zwar würde ich mit den allermeisten Wesen dieser Welt nicht tauschen wollen bzw. m.E. einen schlechten Tausch machen, aber ich hätte eine Vorstellung, wo es hingeht.

8) Mind at Large: im Gegensatz zur zufälligen Wiedergeburt besteht beim instinktiven M@L schon eine gewisse Chance auf kollektive (oder bei nicht vollständig aufgelöster dissoziativer Grenze im Tod sogar persönliche) Weiterentwicklung. Die Reintegration in den wilden Willen des M@L und vielleicht auch die instinktiv bestimmte Dissoziation als neuer Alter liegt für mich in puncto Attraktivität also über der zufälligen Wiedergeburt, aber unter der karmischen Wiedergeburt.

4) All-Einheit: in einer relativ gerechten Ordnung gelangt jeder durch zahllose karmische Wiedergeburten "per aspera ad astra" – aber der moralische Aufstieg bedeutet wohl immer mutigere Heldenreisen mit immer höheren Hochs und immer tieferen Tiefs. Deshalb würde ich im Zweifel lieber ewig in meinem gewohnten Heute bleiben als ein immer höheres Wesen werden, welches immer mehr Verantwortung übernehmen bzw. Wagnisse eingehen muss.

6) Ich: als ewiges Ich, dem alles so bleibt, wie es jetzt ist, bin ich zwar immer noch viel elender als wenn ich gar nicht existieren würde, aber m.E. schon gewaltig privilegiert. Als Ängstlicher will ich, dass wenigstens alles so bleibt wie es ist – auch wenn damit all meine Sorge, was im Tod auf mich warten könnte, ewig umsonst wäre. Befremdlich finde ich, dass Nietzsche diese Vorstellung der ewigen Wiederkehr des Gleichen als übermenschlich tapfer einstuft.

3) Nichts: Wenn nicht alles gut sein kann, dann wäre doch besser nichts! Mir wäre jeder Moment recht, um ein für alle Mal mit dem leidigen Sein aufzuhören. Auch den Himmel der Auserwählten und die absolute Harmonie in unbestimmter Ferne würde ich sofort drangeben, um nicht weiter leiden zu müssen. Wenn die Materialisten trotzdem weiterleben wollen, muss da m.E. bei den meisten ein unbewusster Zweifel am Nichts im Tod dahinterstecken.

1) Himmel: selbst der Himmel der Auserwählten wäre m.E. nur dann besser als das Nichts, wenn er moralisch zu rechtfertigen wäre, z.B. indem die in der Hölle freiwillig auf den Himmel verzichten. Ansonsten wäre es m.E. höchst ungerecht, dass für die bis zum unbekannten Stichtag des individuellen Todes angesammelten endlichen Sünden eine ewige Strafe verhängt wird. Mit so einem Gott wollte ich nichts zu tun haben bzw. lieber nichtsein.

0) Harmonie: zumindest für mich als Harmoniesüchtigen ist Platz 1 unstrittig. Für Andere mag Kampf und Sieg das Lebenselexier sein. Evt. ist mein Pessimismus dieser Tatsache zu verdanken, dass ich mich nicht streiten will. Mystische Traditionen kennen nur ein zentrales Ideal, unterscheiden nicht zwischen Himmel und Nichts. Und auch mein pessimistisches Ideal ist eindeutig: Hauptsache, das Leiden geht endgültig vorbei.


Meine erste NTE: Als ich 3 Jahre alt war, bin ich in einem unbeaufsichtigten Moment während eines Schwimmkurses "ertrunken". (Die Gruppe hatte sich geteilt: der eine Schwimmlehrer, weiter weg von mir, führte die jüngeren Kinder über die Treppe am flachen Ende des Beckens hinaus und außenherum ans tiefe Ende zum Ein-Meter-Sprungbrett; der andere Schwimmlehrer, näher dran an mir, schwamm mit den älteren Kindern, die an seinen Schultern hingen, auf direktem Weg dorthin. Ich entschied mich spontan für letzteren – mit einem mulmigem Gefühl, weil er bereits jenseits des roten Seils im tiefen Bereich war. Ich eilte ihm nach, war aber nicht schnell genug, und als ich den festen Grund unter den Füßen verlor, war jener schon zu weit weg, um mich zu bemerken.) Solange ich noch mit dem Untergehen rang, machten mir die Luftnot und das Einatmen/Schlucken des Chlorwassers extreme Angst/Schmerzen. In der ersten als hyperreal empfundenen Szene unter Wasser aber war das ganz ruhige und tiefe Ein- und Ausatmen des Wassers ganz im Gegenteil freiwillig und extrem angenehm (realiter evt. seltenes Ausbleiben des Stimmritzenkrampfs oder schon wieder gelöster Stimmritzenkrampf?​). In der zweiten hyperrealen Szene ging ich, umrahmt vom hellblauen Pool, überhalb des Grundes schwebend auf ein unbeschreiblich schönes weißes Licht zu, das mich auf sanfte Weise anzog wie ein Magnet, aufgehoben in tiefster Stille und im höchsten Gefühl reiner Liebe. In der dritten hyperrealen Szene befand ich mich ebenfalls in perfekter Geborgenheit inmitten von einigen mir unbekannten (realiter evt. schon gestorbenen?​**) Nonnen in meinem katholischen Kindergarten gegenüber des Schwimmbads an einem Psalter, spielte und sang mit ihnen. In der vierten hyperrealen Szene sah ich von der Decke des Schwimmbads aus als körperloser Ich-Punkt auf den herbeieilenden Bademeister hinunter*** und konnte seine Gedanken bzw. seine Gefühle (oder eher seine Persönlichkeit, seinen Charakter?) lesen: er fühlte v.​a. Stolz, im Mittelpunkt zu stehen. {Des Weiteren hat mir meine Mutter auf späteres Nachfragen erzählt, der Bademeister habe mich leblos aus dem Becken gezogen und dann zum Ausatmen/Ausspucken des eingeatmeten/geschluckten Wassers gebracht, woraufhin ich wieder erwachte.} Anschließend nahm mich einer der Schwimmlehrer gleich noch einmal mit ins Wasser, um einer späteren Phobie vorzubeugen. {Des Weiteren hat mir meine Mutter auf späteres Nachfragen erzählt, ich sei auf dem Heimweg vom Schwimmbad recht vergnügt gewesen.} An die beiden – in geschweifte Klammern gesetzten – realen Szenen der Bergung und Wiederbelebung bzw. des vergnügten Heimwegs kann ich mich selber nicht mehr erinnern, wohl aber an die vier realen Szenen der spontanen Entscheidung für den mir näheren Schwimmlehrer, des ihm Nacheilens mit mulmigem Gefühl, des angst- und schmerzvollen Ertrinkens und des gleich noch einmal Zurückmüssens ins Wasser. Insbesondere meine Erinnerung an die vier hyperrealen Szenen ist nicht zeitlich geordnet – ich habe die acht selbst erinnerten Szenen und die zwei von meiner Mutter erfragten Szenen erst 35 Jahre**** später in einen Zusammenhang gestellt und in die genannte Reihenfolge gebracht, welche mir im Nachhinein am logischsten erscheint.

Meine zweite NTE: Als ich 34 Jahre alt war, bin ich in einem Lokal sitzend plötzlich ohnmächtig geworden. (War es gar ein Herzstillstand? Eine Freundin, die Anästhesistin ist, sagte mir einen Tag später, sie habe überhaupt keinen Puls mehr tasten können, glaubt aber heute dennoch an eine harmlose Synkope. Ein nachmittägliches Weihnachtstreffen mit Freunden im Café hatte sich gegen Abend in ein lautes und verrauchtes Lokal verlagert, wo ich viele Stunden lang nur noch Mineralwasser trank. Die Sanitäter auf der anschließenden Fahrt ins Krankenhaus stellten Unterzucker fest, alle weiteren ärztlichen Untersuchungen blieben ohne relevanten Befund.) In der einzigen hyperrealen Szene sah ich diesmal kein weißes Licht, sondern war eingehüllt in eine ganz besondere, samtene bzw. funkelnde Schwärze. Ein auf mich zugleich sehr neutral und sehr souverän wirkendes Wesen, mit dem ich nicht sinnlich, sondern gedanklich verbunden war, fragte mich ganz und gar eindeutig: Willst du sterben? Meine Antwort: Nein, da sind noch Dinge mit meiner Freundin zu regeln. Dann wachte ich wieder auf – ein Freund hatte mich unsanft vom Stuhl gezogen, um meine Beine hochzulegen. Noch viel eindrucksvoller als die existentielle Bedrohung meiner Person ist im Nachhinein, dass "ich" bei dem Dialog zwischen dem Wesen und meiner Person in erster Linie als zeitlos-transpersonale Ichheit zugegen war. Erschrecken über die Frage und panisches Nachdenken über die Antwort fand überhaupt nicht statt, Frage und Antwort kamen quasi gleichzeitig bzw. wie aus der Pistole geschossen bzw. eher als punktuelles Ganzes denn in aufeinanderfolgenden Worten. Später habe ich mich immer wieder gefragt, wieso von meiner Person keine Gegenfrage kam, etwa: Wie ist es, tot zu sein? Aber alles rationale Reflektieren war während meines Blackouts außer Kraft gesetzt. Geistige Erkenntnisfähigkeit&Kreativität fehlten meiner Person ebenso wie körperliche Sensorik&Motorik – nur seelisches Fühlen&Wollen war noch übrig, und auch davon war "ich" gewissermaßen schon transpersonal distanziert. Das Eindrucksvollste war wohl der Kontrast von ultimativem Ausgeliefertsein der personalen Seele und absolutem Gleichmut der transpersonalen Ichheit. Meine Seele war extrem eingeschüchtert, jedoch um eine präsentable Antwort auf die Frage nicht verlegen. Immerhin eine Seele, über die das Wesen nicht einfach verfügt hat, sondern die gefragt wurde – nach der ersten NTE (s.o.) ohne Einflussmöglichkeit sozusagen eine zweite NTE für Fortgeschrittene. Und mit jener Antwort erreichte der lebensbejahende seelische Wille sein Ziel, ungehindert durch den lebensverneinenden Intellekt. Dass die langjährige Beziehung mit meiner Freundin, welche an besagtem Abend nicht zugegen war, auf der Kippe stand und wir das miteinander klären mussten, war mir bis dahin jedenfalls gar nicht so recht bewusst gewesen. Um die drei persönlichen Instanzen plus die eine transpersonale Instanz – Geist (i.S.v. Intellekt), Körper und (um den Intellekt reduzierte) Seele, plus Mind at Large – so zu unterscheiden wie nun geschehen, habe ich weitere 25 Jahre gebraucht. N.B. Und wer ist das o.g. souveräne Wesen? Es kommt in Nahtoderfahrungen häufig vor (etwa auch in der umgekehrten Rolle als Wächter, welcher dem Suizidenten den Zutritt ins Jenseits verwehrt) und wird u.a. als ideale Version der eigenen Person interpretiert – womit in solch einer NTE dann drei Instanzen aufeinandertreffen: die momentane persönliche Seele, die ideale persönliche Seele und die unpersönliche Ichheit (i.S.v. M@L), während es Körper und Geist (i.S.v. Intellekt) nicht mehr gibt.


*    NTE, Nahtoderfahrung, NDE, Near-Death Experience
**   NTK, Nachtodkontakt, ADC, After-Death Communication
***  AKE, außerkörperliche Erfahrung, OBE, OOBE, Out-Of-Body Experience
**** falsche Erinnerung, False Memory: bis Ende 2022 dachte ich, es seien nur 25 Jahre gewesen